Ein neues Haus für die Rechte Wienzeile

Manuel Pestalozzi
3. Mai 2024
Nach Norden hin öffnet sich der Neubau zum Wienfluss. (Foto: © Matthias Raiger)

Otto Wagner hat die historischen Häuser der Wienzeile gestaltet. In den Jahren 1898 und 1899 wurden sie nach den Plänen des für die Hauptstadt so prägenden Architekten gebaut. Wagner warb dafür, den Wienfluss vom Karlsplatz bis zum Schloss Schönbrunn einzuwölben und eine Prachtstraße zu schaffen. Letztendlich wurde die Einwölbung jedoch nur auf einer Länge von 2,1 Kilometern im Stadtzentrum und auf einem kleinen Teilstück beim Margaretengürtel verwirklicht. Dafür entstanden schmuckvolle Häuserzeilen auf beiden Seiten des offenen Flussbetts. Beide sind zum Fluss und der Trasse der Stadtbahn hin mit dem bekannten, von Otto Wagner entworfenen »Stadtbahngeländer« versehen.

Das Eingangsgeschoss erlaubt bei günstigen Lichtverhältnissen Durchblicke und verbindet visuell die Straßenräume auf beiden Seiten des Gebäudes. (Grundriss Erdgeschoss: © GERNER GERNER PLUS)
Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss und auf dem Dach

Der Neubau des Wiener Architekturbüros GERNER GERNER PLUS grenzt sowohl an die Rechte Wienzeile im Norden als auch an die Schönbrunner Straße im Süden. Das Wohnhaus möchte verschiedenen Anforderungen in gleichem Maße gerecht werden: Es soll großstädtisch sein und architektonisch auf die besondere Lage zwischen einer belebten Straße und dem Wiental reagieren. Außerdem soll der Neubau sowohl den Wünschen der Mieter*innen als auch jenen des Auftraggebers, der Projekt60 GmbH, genügen. Dies äußert sich besonders deutlich in der Gestaltung der Gemeinschaftsflächen im Erd- und Attikageschoss: Hauseingänge finden sich an beiden Straßenfassaden, das Haus hat in diesem Sinne keine Rückseite; die hier angeordneten Gewerbeflächen sind verglast, sodass – zumindest bei günstigen Lichtverhältnissen – der Blick durch das Haus möglich wird. Auch der Eingangsbereich, das Treppenhaus und die Gänge sind hell gestaltet. Sie werden seitlich und von oben mit Tageslicht versorgt. 

Im Erdgeschoss gibt es einen Jugend- und Gemeinschaftsraum, einen Fahrradraum mit extra Fahrrad-Mietboxen und eine Waschküche. Als innovativ heben die Architekt*innen die gemeinschaftlich genutzte Dachterrasse hervor: Die Fläche mit freiem Blick über die Stadt wurde nicht als isoliertes Penthouse geplant, sondern für alle Bewohner*innen des Hauses geöffnet. Eine Sitz- und Liegelandschaft sowie mietbare Hochbeete gliedern diesen Gemeinschaftsraum unter freiem Himmel und sollen ihn zu einem sozialen Treffpunkt machen. Da am Standort keine Tiefenbohrungen möglich waren, sind auf dem Dach auch zwei Luftwärmepumpen montiert. Sie heizen und kühlen unabhängig vom Heizkessel alle Wohnungen.

Auch die Fassade an der Schönbrunner Straße wird durch Balkone gegliedert. (Foto: © Matthias Raiger)
Loft-artige Wohnungen mit Außenräumen

Das neue Haus ist zweihüftig erschlossen. Alle 60 Mietwohnungen verfügen über Freiflächen in Form von Balkonen und Loggien, die an beiden Straßenfassaden geschossweise versetzt angeordnet sind. Dank der massiven Brüstungen entsteht eine gewisse Kleinteiligkeit, die sich den Proportionen der Gründerzeitbauten in der Nachbarschaft angleicht – obschon diese ansonsten eine gänzlich andere Architektursprache sprechen. 

Drei Werkstoffe bestimmen das Haus innen wie außen: weiß eingefärbter Beton, Glas und Holz. Raffinierte Holzgitter bieten bei den raumhohen Fenstern an der Rechten Wienzeile einen Sicht- und Zugangsschutz. In den Wohnungen ist Vollholzparkett verlegt, und auch die Portale des Treppenhauses sind aus Holz. Die Wohnungen sind Loft-artig gestaltet: Der Wohnraum ist zur Küche geöffnet und wird durch die großen Glasflächen der Balkontüren visuell ins Freie erweitert. In die Balustraden sind Pflanztröge integriert, was den Blick nach draußen noch verschönert.

Das Dach mit den beiden Luftwärmepumpen dient als Gemeinschaftsterrasse. (Grundriss Attikageschoss: © GERNER GERNER PLUS)

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